Aerotoxisches Syndrom

Giftige Atemluft im Flugzeug

Fliegen bedeutet Stress für den Körper: die Klimaanlage, die Ozonbelastung, die geringe Luftfeuchtigkeit. Doch es kommt sogar noch ein weiterer, wichtiger Faktor hinzu.

Was die meisten nicht wissen: Fast alle Verkehrsflugzeuge zapfen die Frischluft für den Bordraum ohne Filter direkt aus dem Verdichter der Triebwerke. Bei Störungen der Zapfluftanlage können giftige Dämpfe aus erhitzten Resten von Triebwerksölen, Kerosin, Enteisungsflüssigkeit oder auch Insektiziden ungefiltert in die Kabine strömen und von Passagieren und Flugzeugpersonal eingeatmet werden. Gelangt solch ein chemischer Giftcocktail über die Atmung in den menschlichen Organismus, können erhebliche Schäden entstehen.

Akut auftretende Symptome sind u.a. starke Kopfschmerzen, Sehstörungen, erschwerte Atmung, Schleimhautreizung, Herz-Kreislaufprobleme, Gleichgewichtsstörungen, Bauchkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Harndrang, allgemeines Schwächegefühl, Kribbeln und Taubheitsgefühl. Mögliche langzeitliche Folgen sind Müdigkeit, Lungenbeschwerden, Gedächtnis-, Konzentrations- und Sprachstörungen sowie Störungen des peripheren Nervensystems.

Solch ein akuter Vorfall wird „Fume Event“ genannt. Zwischen 2008 und 2016 gab es laut Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen schon 800 gemeldete Fume Events.
Die Fluggesellschaften verharmlosen bzw. bestreiten das Problem, doch auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi warnt das Flugpersonal vor den Risiken und empfiehlt, beim Verdacht auf ein Fume Event so schnell wie möglich Blut- und Urinproben zu sichern, um die toxischen Stoffe nachweisen zu können.

Die Frankfurter Rundschau (vom 26.01.2017) berichtete Anfang des Jahres in einem Artikel über das Aerotoxische Syndrom, dass 2015 an der Uniklinik Göttingen in den Blut- und Urinproben von 140 Betroffenen nicht nur schädliche Organophosphate, sondern auch flüchtige organische Verbindungen („Volatile Organic Compounds“, VOCs), die das Nerven- und Herz-Kreislauf-System angreifen, gefunden wurden.

Das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Uni Göttingen war bisher die einzige offizielle Anlaufstelle für Betroffene. Bis Mitte 2016 wurden dort rund 400 Patienten betreut, vor allem Piloten, Flugbegleiter, aber auch schon vereinzelt Passagiere. Inzwischen wurde das Angebot jedoch drastisch reduziert. Auf der Plattform change.org läuft zur Zeit eine Onlinepetition für die Erhaltung des Instituts (https://www.change.org/p/ kontaminierte-kabinenluft-fume-event-sprechstunde-muss-erhalten-bleiben).

Wir wollen hier keine Angst verbreiten, sondern auf das Problem aufmerksam machen, damit möglichst viele Leute darüber Bescheid wissen. Auch in unserer Praxis machen wir Erfahrungen mit toxisch belasteten Patienten. Piloten, Kabinenpersonal und Vielflieger sind besonders häufig betroffen. Eine dauerhafte toxische Belastung kann zu Multipler Sklerose (MS), Amyotropher Lateralsklerose (ALS), Vielfacher Chemikalienunverträglichkeit (MCS), Chronischem Erschöpfungssyndrom (CFS) und anderen Erkrankungen führen. Die Belastung mit organischen Lösungsmitteln nachzuweisen und auszuleiten ist hier die größte Herausforderung, da diese Stoffe lipophilen Charakter haben und sich im Fett-und Drüsengewebe, aber auch in Gefäßen, Membranen und vor allem in den Nervenzellen bzw. in den Schwannschen Scheiden ablagern. Mit dem Verfahren der Therapeutischen Apherese haben wir die Möglichkeit alle Toxine effektiv auszuleiten und in Zusammenarbeit mit dem Umweltlabor Bremen auch nachzuweisen. Den allermeisten Patienten geht es bereits nach wenigen Sitzungen deutlich besser.